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Erst Typ 1 – und jetzt auch noch Zöliakie!

„Mama, darf ich jetzt nie wieder ein Twix essen?“, war eine der ersten Fragen, die unserem mittlerweile achtjährigen Vinzenz in den Sinn kamen, als er von dem Ergebnis seiner Blutuntersuchungen erfuhr.

Jeder, der Typ 1-Diabetes hat, weist leider statistisch ein vielfach höheres Risiko auf, weitere Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto (Schilddrüse) oder auch Zöliakie zu manifestieren. Seit sieben Jahren, der Diabetes-Diagnose von Korbi, Zwillingsbruder von Vinzenz, hatte ich bei der jährlichen Blutuntersuchung auf Zöliakie die allermeiste Angst! Und nun mussten wir leider im Juni dieses Jahres nicht nur erfahren, dass Vinzi nun auch Typ 1-Diabetes manifestiert hatte, sondern wir erhielten mit nur zwei Wochen Abstand die von mir sehr gefürchtete Diagnose der Zöliakie.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir nie die Frage des „Warum gerade wir?“ gestellt. Warum auch nicht? Nicht, als ich in der Schwangerschaft erfuhr, dass sich zu Kind Nr. 3 zeitgleich Kind Nr. 4 gesellt hatte, nicht, als ich das erste Silvester mit vier Kindern statt zu feiern mit den damals drei Monate jungen Säuglingen wegen eines RV-Virus bei Korbi im Krankenhaus verbringen musste … Ebenfalls kam mir die „Warum“-Frage weder in den Sinn, als unser Korbi mit 15 Monaten an Diabetes erkrankte (und ich damit meinen sorgsam geplanten Wiedereinstieg in den Gymnasialdienst erst einmal wieder auf Eis legen musste) noch als ich statt mit über 50 Leuten meinen Geburtstag (für den ich bereits drei Tage lang diverse Köstlichkeiten vorgebacken und vorgekocht hatte) zu feiern, mich mit unserem damals knapp dreijährigen Korbi für insgesamt über drei Wochen mal wieder ins Krankenhaus begeben musste wegen einer weiteren - von dem Diabetes völlig unabhängigen - Autoimmunerkrankung, nämlich der sogenannten immunologischen Thrombozytopenie.

Das Leben mit zwei Typ 1-Kindern versuchte ich so gut es geht zu meistern, auch wenn es bei jeder Mahlzeit wirklich herausfordernd ist und immer wieder zu Unklarheiten bei der Bolusabgabe kommt. So geschieht es leider manchmal (hören doch leider bereits die kleinen Männer genauso schlecht zu wie die großen…), dass ich laut und deutlich sage: „Vinzi, du bolst Dir bitte 30 g Kohlenhydrate fürs Essen.“ Und es dann aus Korbis (!) Mund ertönt: „Ja, Mama, habe ich gerade gemacht.“ Dieser hätte sich aber nur noch für 10 g Kohlenhydrate geben sollen… Und oft passiert es, dass ich gar nicht mehr alle Pumpenalarme sofort dem richtigen Kind zuordnen kann.

Aber bei all diesen Erkrankungen stellte ich nie die Frage nach dem WARUM. Jetzt, mit dem Auftreten der Zöliakie haderte ich aber nun doch zum ersten Mal wirklich mit der Gesamtsituation.

Ich bin mir vollkommen bewusst, dass es wesentlich schlimmere Erkrankungen und familiäre Belastungssituationen gibt, aber tatsächlich fühle ich mich seit der Zöliakie-Diagnose bei Vinzenz und der Kombination mit zweimal Diabetes, zwei älteren Töchtern, einem Hund, der im Gegensatz zu unserem Vorgängerhund permanent wegen etwas anderem zum Tierarzt gebracht werden muss, meinem Beruf als Gymnasiallehrerin, dem Haushalt und allem anderen Tag für Tag zerrieben und immer öfters auch völlig überfordert bzw. erschöpft.

Und der Mann an meiner Seite scheint in Bezug auf glutenfreie Ernährung noch deutlich unbedarfter als ich zu sein. So ist es ihm z.B. nicht verständlich, warum er mit seinem Messer, mit dem er sich Butter auf sein glutenhaltiges Brot gestrichen hat, nicht mehr in den Frischkäse gehen darf, da sonst dieser unweigerlich nicht mehr glutenfrei ist. Er behauptet dagegen steif und fest, dass, wenn er sich ein Butterbrot schmiert, das Brotmesser keinen Kontakt zum Brot hätte… Mit Sicherheit meint er dies alles nicht böse, aber Männer und Frauen scheinen in Gesundheitsfragen wirklich oft etwas andere Schwerpunkte zu setzen.

Eines Tages kam er ganz erfreut nach Hause und berichtete stolz, dass unser Vinzi (der gerade mal acht Jahre alt geworden ist) ja in Italien problemlos Bier trinken dürfe, da dieses auf reiner Maisbasis hergestellt sei. Dieses Faktum ist ja an sich interessant und erfreulich, tangiert mich aber momentan nur ausgesprochen peripher, muss ich es doch erst einmal acht Jahre schaffen, unseren Jüngsten glutenfrei zu ernähren, bevor er sich seinem ersten Bier, aus welchem Land auch immer, widmen kann…

Vielmehr würde es mir in dieser Zeit helfen, wenn mein Mann bei dem Abendessen mitdenken würde und z.B. nicht das Stück Käse auf seinem Teller mit glutenhaltigem Brot abstellen würde, damit der Käse auch noch für Vinzi sicher essbar ist.

Ausgesprochen dankenswert ist aber auf alle Fälle, dass er dank einer sehr guten App (Codecheck) zuverlässig beim Einkaufen die glutenfreien Produkte mitbringt, auch wenn die Glutenfreiheit eben oft leider nicht schon direkt auf der Verpackung deklariert ist – eine solche Kennzeichnung würde uns sehr helfen.
 

Selbstverständlich wäre es deutlich einfacher für mich, wenn ich jede Mahlzeit für alle komplett glutenfrei herrichten würde, was aber leider in unserer Familienkonstellation aus mehreren Gründen nicht realisierbar ist.
Ich ernähre mich seit Jahren völlig unbeabsichtigt nahezu glutenfrei. So enthalten einfach Salat, Gemüse, Hülsenfrüchte, Hummus, diverse Molkereiprodukte und sogar zahlreiche meiner geliebten Schokoladen von Haus aus kein Gluten. Aber ganz anders schaut es bei meinem Mann und unseren drei weiteren Kindern aus…
Und wir haben noch zwei weitere Probleme mit einer glutenfreien Ernährung für alle. Einerseits ist dies finanziell kaum zu stemmen, zahlt man doch für glutenfreie Alternativen doppelt bis dreimal so viel wie für die klassischen Angebote. Zum anderen sind sehr viele glutenfreie Produkte hauptsächlich aus Reis- und Maismehl hergestellt und haben auch deutlich weniger Ballaststoffe, so dass unser Korbi z.B. oft signifikant schlechtere Blutzuckerwerte nach dem Verspeisen des glutenfreien Brotes hatte. So sehe ich in unserer Familie nur die Möglichkeit eines „Hybridkochens“ als praktikabel an.

War mir der „Hybridunterricht“ während der Coronapandemie bereits ein Dorn im Auge, so ist die Hybridküche für mich ungemein anstrengend, da ich mich wirklich konzentrieren muss, z.B. beim Umrühren nicht mit dem gluten-kontaminierten Löffel in das glutenfreie Essen zu kommen oder auch immer erst die glutenfreien Nudeln vor den glutenhaltigen abzuschütten, etc. Mittlerweile habe ich mir für die warmen Mahlzeiten ein relativ großes Repertoire an glutenfreien Rezepten zugelegt, die mehr oder weniger allen Familienmitgliedern schmecken. So gibt es unsere heimischen Biokartoffeln als Salat, Gratin, Puffer, Brei, Bratkartoffeln und selbstgemachte Gnocchi, den Reis sowohl in Form diverser Gemüserisotto-Variationen als auch in der süßen Variante als Milchreis. Und auch die Pfannkuchen werden mehr oder weniger gerne von allen Familienmitgliedern auch in der glutenfreien Variante mit Reis- und Buchweizenmehl gegessen.

Dagegen sind Frühstück und Abendessen nach wie vor in Kombination mit der Zöliakie und dem Diabetes täglich ein großer Kraftakt. Glücklicherweise gibt es - anders als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten – ja wirklich ein ausgesprochen großes Angebot an glutenfreien Lebensmitteln. Das erleichtert den Alltag mit glutenfreier Ernährung deutlich.

Als eine besondere Herausforderung empfinde ich aber leider wirklich Sonderveranstaltungen wie Klassenausflüge oder Geburtstagseinladungen sowie mehrtägige oder mehrwöchige Reisen. So ist unser Vinzi tatsächlich bei jedem Kindergeburtstag, der in der Schule gefeiert wird, sehr traurig, dass er als einziger keine Smarties, Muffins oder ähnliches essen darf - auch wenn er von mir selbstverständlich glutenfreien Kuchen-/Keksersatz in die Schule mitbekommt (vorausgesetzt, die Eltern des jeweiligen Geburtstagskindes haben mich vorher davon in Kenntnis gesetzt).

Zu Kindergeburtstagen backe ich ihm immer seine eigenen glutenfreien Muffins. Diese schmecken wirklich ausgezeichnet, aber ich verstehe es voll und ganz, dass er wesentlich lieber nicht immer ein gesondertes Essen hätte, sondern ganz normal dasselbe wie alle anderen Kinder essen dürfte, zumal es ja bekanntlich auswärts immer am besten schmeckt.

Aber es gibt auch immer wieder erfreuliche Erfahrungen. So hatte ich große Sorge, dass die Zöliakie unserem bereits schon lange geplanten Städtetrip nach Budapest in den Allerheiligenferien einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Mit großer Freude durften wir erfahren, dass es in Ungarn nicht nur in jedem der bekannten Fastfood-Restaurants (gesund ist natürlich etwas anderes…) ganz selbstverständlich mehrere glutenfreie Burger gibt, sondern genossen insgesamt das wesentlich transparenter ausgezeichnete Angebot an glutenfreien Produkten in jedem Supermarkt. Und auch wenn ich teilweise am Frühstücksbüffet leichte Schnappatmung bekommen habe, wenn ein Hotelgast sich seine Marmelade, Butter, etc. nicht in ein dafür vorgesehenes Schälchen gefüllt, sondern direkt mit seinem Brotmesser in die gefüllte Schüssel gefahren ist, habe ich dennoch für unseren Vinzi immer genügend glutenfreie Alternativen gefunden.

Ein Besuch in der Eisdiele stellt sich auch nicht immer als ganz einfache Geschichte heraus, wenn der liebe Eisverkäufer z.B. auf die Frage: „Haben Sie glutenfreies Eis?“ mit einem breiten Strahlen im Gesicht beflissen antwortet: „si, si, certo, alles ganz frisch.“ Ja, danke, das ist schön zu hören, beantwortet aber leider nicht meine Frage… Oder auch, wenn ich für unser Familientreffen in Köln schon vor der Zöliakie-Diagnose ein nicht ganz billiges Hotel für mich und die drei jüngeren Kinder gebucht habe, das weder auf meine mehrmalige Anfrage bezüglich glutenfreier Frühstücksalternativen per Mail geantwortet hat noch leicht telefonisch erreichbar war. Erst nach mehreren Anläufen bekam ich endlich den Küchenchef ans Telefon, der mir glutenfreies Brot zum Frühstück zusichern konnte.

Auch wenn es – gerade für mich – wirklich eine große zusätzliche Herausforderung darstellt, neben all den anderen Alltagsbelastungen nun auch noch akribisch genau auf eine glutenfreie Ernährung bei Vinzi achten zu müssen, bin ich ausgesprochen dankbar, wie selbstsicher, in sich ruhend und heiter unsere Jungs Tag für Tag durchs Leben gehen und, von außen betrachtet, wie zwei ganz normale zufriedene wenn auch sich häufig streitende, Zwillingbrüder wirken.

Und lieber Vinzi, auf Deine Anfangsfrage bezüglich der Twix-Riegel sei Dir geantwortet: Wer weiß, das Helmholtz-Institut forscht gerade an Tabletten, die man, ähnlich wie bei einer Laktoseintoleranz, vor gewissen Mahlzeiten einnehmen kann. Vielleicht, vielleicht kommst Du so auch eines Tages wieder in den Genuss von Twix-Riegeln. Und selbst wenn nicht, denke immer wieder an meine liebe Französischkollegin, die selbst von Zöliakie betroffen ist. Sie steht mir seit der Diagnose ganz rührend mit Rat und Tat zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Seite und beantwortet meine diversen Fragen zur glutenfreien Kost. Und sie hat mir auch den folgenden Satz ans Herz gelegt, den sie selbst immer wieder in den unterschiedlichsten Situationen erfährt: „Es gehen so oft viele andere Türen unerwartet auf, wenn sich die eine Tür schließt.“ (Dorothea Fading)

Korbi und Vinzi (re.) © Dorothea Fading
Dorothea Fading mit ihrem Sohn Vinzi © Dorothea Fading
© Dorothea Fading