Text: Christine Kolesinski, Fotos: Privat - Quelle Zeitschrift „Leben mit Down-Syndrom“ Ausgabe 1/2025
Schon seit einiger Zeit wollte ich den Artikel schreiben – endlich geschafft! Ein D im Untertitel bedeutet Down-Syndrom/Trisomie 21, das zweite D steht für Diabetes Typ 1, seit 2016.
Seit Erik 2014 das Licht der Welt erblickte, war und ist er nach wie vor unser Wunschkind. Nun eben mit „Rucksack“: Im Gepäck Down-Syndrom, Diabetes Typ 1, Insulinpumpe, Sensor und vieles mehr. Unser Leben ist spannend, voll, anstrengend, manchmal zum Verzweifeln, oftmals im Nachgang zum Lächeln, überraschend, herzlich und immer wieder wunderschön. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir den Diabetes Typ 1 wegwünschen. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert!
Voller Stolz geht Erik jeden Morgen in die Montessori-Schule und wenn man ihn fragt, in welche Klasse er geht, kommt so-fort – Klasse 3. Er fährt jeden Mittwoch mit dem Bus alleine drei Stationen zu seiner Ergotherapeutin, die er über alles liebt!
Apropos Bus: Es hat mich eine Portion Blutdrucktabletten gekostet, so mutig zu sein, meinem Sohn das zuzutrauen bzw. mich zu trauen, es ihm zuzutrauen. Ich habe eine tolle Familie, aber als ich ihr erzählt habe, dass Erik demnächst mit neun Jahren alleine Bus fährt, haben sie mich etwas irritiert angeschaut: „Die spinnt.“ Die Busfahrer:innen schauen mich auch immer ganz hektisch an. Ich habe nach ein paar einschneidenden Erfahrungen beschlossen, den Busfahrer:innen mitzuteilen, dass Erik alleine fährt und das auch kann! Erik hat typische Sprachprobleme, er spricht teilweise sehr unverständlich und hat ein Diabetes-Handy, das womöglich Alarm schlägt, weil der Blutzuckerwert zu schnell sinkt.
Der „Rucksack“ von Erik hat mir viele Fortbildungen und Workshops geschenkt. Ich kann nun gebärden, bin gut aufgestellt in Lernmaterialien, kann „Yes we can“ leider besser als mein Sohn …, weiß, wo, wann und was ich beantragen muss. Ich kann die Rechte meines Sohnes definieren und Widersprüche formulieren. Zwischendurch stelle ich die Basalrate der Insulinpumpe neu ein. Beschäftige mich mit „Time in Range“, was Zeit im Zielbereich des Blutzuckers meines Sohnes bedeutet. Lerne, wie ich die „Boost und Easy off Funktion“ der Insulinpumpe am besten nutze, damit eben kein Alarm beim Busfahren kommt.
Übrigens wissen die Kids in der Monte mittlerweile auch, dass ein hoher lauter Ton keinen Feueralarm, sondern Diabetes-Alarm bedeutet und in dem Fall ein Kinderriegel besser ist als die Feuerwehr.
Außerdem schule ich alle Menschen im Umgang mit Diabetes Typ 1, die sich bereit erklären, Erik (ohne die Oberaufsicht der Mutter über den Diabetes) einfach so zu nehmen wie er ist. Das sind leider herzlich WENIGE!
Ziemlich früh habe ich gemerkt, das Down-Syndrom könnte ein Stolperstein für uns werden. Nicht im Traum hätte ich nach der Diagnose Down-Syndrom an gesellschaftliche Hürden gedacht. Alles Mögliche ist mir durch den Kopf gegangen, von dem Bild eines schwer behinderten Menschen, der im Rollstuhl sitzt, bis hin zu … – ihr wisst bestimmt alle, was ich meine. Aber dass Kindergärten Erik abweisen – aus fadenscheinigen Gründen bis hin zu ehrlichen Erklärungen wie „Das überfordert uns“, „Das können wir nicht leisten“ –, war schon bitter. Letztendlich wurde Erik dann wohnortfremd aufgenommen, in einen angeblich integrativen Kindergarten.
Dann kam das zweite D hinzu – unser Freund und Feind Diabetes Typ 1. Der „Rucksack“ wurde ein bisschen voller. Mit dem Diabetes kamen: Überforderung-Symptomatik der Erzieher:innen, Gespräche und eine I-Kraft. Die I-Kraft wurde Eriks bester Freund, weil sich ab sofort die Erzieher aus allem rausgehalten haben. Sozusagen alles abgegeben, aber dennoch wurde die I-Kraft kritisch beäugt und nicht in das Team miteingeschlossen. Es gab dann ein paar Vorfälle und wir entschlossen uns, dem Kinder- garten den Rücken zu kehren. Noch ein Jahr bis zur Einschulung. Nun ging ich in der Gegend „hausieren“. Graste alle Kindergärten der Umgebung ab. „Ohhh, Down-Syndrom? Wiiiieee, Diabetes auch noch? Nein, tut uns echt leid, auch nicht mit I-Kraft.“ Es war echt zum Verzweifeln.
Letzte Anlaufstelle die SVE einer Förderschule – die Gespräche waren gut. Mir ging es in der Zeit nicht gut. Ich wollte doch so sehr, dass Erik ganz normal an der Gesellschaft teilnimmt, das bezieht sich auch auf Kindergärten und Schulen.
Wir haben es mit der SVE versucht. Es folgten wieder Schulungen durch mich (ich bin ausgebildete Krankenschwester und arbeite im medizinischen Bereich) und viele Gespräche, Handy-Einweisungen etc., bis auch dort beschlossen wurde, eine I-Kraft muss her. Wieder viel Zeit investiert mit Null Ergebnis! Die I-Kraft kam, ich schulte sie im „Umgang“ mit meinem Kind und Diabetes Typ 1 und es lief ca. vier Wochen gut, dann war sie zwei Tage da und sechs Wochen krank und wieder zwei Tage da und sechs Wochen krank, und belegte somit die vorhandene Stelle. Dazu kam Corona.
Fazit
Im Gepäck DD und keiner mag den „Rucksack“ aufmachen. Die Vesper drin schmeckt nicht und der Saft ist zu süß!
Wir brauchen Menschen, die eine hohe Akzeptanz und das Herz am richtigen Fleck haben!
Wo stehen wir JETZT?
Wir Eltern haben unsere Berufe umstrukturiert und uns neu aufgestellt. Wir setzen uns sehr stark für eine inklusive Gesellschaft und ein inklusives Schulsystem ein. Wir versuchen, unsere ausgeschöpften Ressourcen wieder aufzufüllen. Und wir haben Glück gehabt!
Wo steht Erik JETZT?
Erik geht seit drei Jahren in eine Montessori-Schule und hat dort eine tolle I-Kraft, die ihn beständig begleitet. Die I-Kraft durfte damals selbst entscheiden, ob sie Erik mit „Rucksack“ und seinem Doppel-DD im Gepäck übernehmen möchte.
Er ist in der Monte sozial integriert, hat trotz sprachlicher Schwierigkeiten seine Freunde und wird zu Geburtstagen und gemeinsamen Ausflügen (mit Mutter im Gepäck) eingeladen.
Erik ist sehr sportlich, allerdings scheitert es bislang an inklusiven Angeboten in der Nähe. Er hat seine Sportgruppe, Logo- pädie und Schwimmkurs. In der Regel sitze ich im Umkleideraum mit Bürokram oder einfach mal einem guten Buch.
Einzig seine tolle Ergotherapeutin mag mich nicht im Gepäck haben. Dort fährt er selbstständig mit dem Bus hin – als ganz normaler Junge. Diese Erfahrung erfüllt ihn mit Stolz und uns auch! Wir sind sehr dankbar für die Menschen, die den „Rucksack“ im Gepäck akzeptieren. Es ist wichtig für Erik und für das Gefühl, „dabei“ zu sein. Wir
sind sehr stolz auf unseren Sohn und haben viele wunderschöne Erlebnisse mit ihm. Er ist ein toller Junge!
Aber WARUM schreibe ich eigentlich diesen Artikel?
Wegen drei Wörtern: Selbstständigkeit, Vertrauen, Selbsthilfe. Wir sind gerade dabei, Erik in kleinen Schritten in sein Diabetes-Management einzuweisen.
Nun würde ich gerne eine Plattform bzw. WhatsApp-Gruppe für Familien mit Down-Syndrom und Diabetes Typ 1 im Gepäck erstellen, um sich gegenseitig auszutauschen, zu unterstützen und auch die Frage in den Raum zu stellen: Traue ich es meinem Sohn zu und erlaube ihm, sein Diabetes selbstständig zu managen?
Dabei ist mir selbstverständlich klar, dass kein Kind einem anderen gleicht. Auch bei den Kindern mit „nur“ Diabetes gibt es sehr starke Unterschiede. Dies ist oftmals abhängig vom „Loslassen“ und „Stark-Machen“ der Eltern. Dass die kognitiven Einschränkungen bei Down-Syndrom da sind, ist mir selbstverständlich sehr bewusst. Ich freue mich auf zahlreiche Rückmeldungen!
Christine Kolesinski sucht Sie für Austausch
Sie sind auch Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom und Diabetes Typ 1 und wollen sich mit anderen Eltern austauschen? Dann melden Sie sich bitte bei Frau Kolesinski, Tel. 0176 39748665