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Pflasterallergie - eine bisher unterschätzte Komplikation bei Trägern von Insulinpumpen und kontinuierlichen Glukose-Messsystemen?

Dr. Stefanie Kamann, Hautärztin und Allergologin, Feldafing

 

Viele Menschen leiden unter einer Pflasterallergie. Obwohl lästig, kommen sie dank der Vielzahl verschiedener Pflaster und Hersteller im Alltag relativ gut zurecht. Schwierig wird es, wenn Pflaster über einen längeren Zeitraum an einer Stelle verbleiben müssen und im Falle einer Hautreaktion nicht gewechselt werden können bzw. keine Alternativmöglichkeiten zur Verfügung stehen.


Neben Diabetikern, die Insulinpumpen und/oder kontinuierliche Glukosemessgeräte (CGM/FGM) tragen, betrifft dies u.a. Menschen mit Stomaversorgung (künstlicher Blasen- oder Darmausgang)1 und Patienten mit chronischen Wunden. Bei all diesen sehr spezifischen Hilfsmitteln ist ein Ausweichen oft nicht oder nur schwer möglich und dennoch sind die Betroffenen auf die Verwendung angewiesen. Bisher gibt es nur einzelne Berichte in der medizinischen Literatur über Hautreaktionen auf Nadeln(2) oder Pflaster(3) von Insulinpumpen oder CGM(4). Es scheint aber, dass Hautprobleme immer mehr in den Mittelpunkt treten und häufiger werden.


Symptome


CGM werden von immer mehr Diabetikern angewendet. Diese Systeme bieten eine Menge Vorteile. Aber: Die lange Tragdauer dieser Sensoren (bis zu zwei Wochen) könnte ein Grund sein, weshalb es hier besonders häufig zu Hautreaktionen und Allergien kommt. Die Symptome sind meist so stark, dass man spätestens nach ein bis zwei Tagen den Sensor schnellstens entfernt: Stärkster Juckreiz, Rötung, Bläschenbildung bis hin zu einer bakteriellen Superinfektion. Achtung: Hält man durch, kann dies zu einer Streureaktion über den ganzen Körper führen.


Nach Entfernung heilt die Hautreaktion mithilfe kortisonhaltiger Cremes, die der Arzt verschreibt, innerhalb von wenigen Tagen ab. Zurück bleibt Verzweiflung und Enttäuschung, denn die Betroffenen wollen (und können) auf die Vorteile der Systeme nicht verzichten. Sie suchen daher selbst und mit ihrem Betreuungsteam nach Lösungen: Im Internet gibt es zahlreiche Foren, in denen man sich über alle Kontinente hinweg austauscht und gegenseitig Tipps gibt. So werden z.B. unter dem integrierten Pflastern Hautschutzsprays, Folien usw. verwendet. Auch wird probiert, die Pflaster vollständig zu entfernen und die Sensoren/Katheter mit verträglichen Pflastern zu fixieren.


Eine Kontaktallergie entsteht erst bei wiederkehrendem Kontakt. Ist die Allergie einmal da, besteht sie leider lebenslang. In der sogenannten stummen  Sensibilisierungsphase werden in den Lymphknoten spezifische T-Zellen aktiviert. Sie vermehren sich daraufhin und treten bei erneutem Allergenkontakt rasch in Aktion. Bringt der Patient schon aus seiner Vorgeschichte eine Pflasterallergie auf einen der Inhaltsstoffe mit, kann unter Umständen bereits beim ersten Tragen eines Hilfsmittels schon nach 24-48 Stunden eine Reaktion auftreten. Meist aber dauert eine Sensibilisierungsphase monatelang, in denen der Anwender das CGM/FGM-System ohne irgendwelche Probleme trägt.


Ursachen für eine Kontaktallergie


Verschiedenste Gründe können zu einer Sensibilisierung führen:

  • die sensibilisierende Potenz des Inhaltsstoffs
  • die Menge
  • die Expositionszeit, z.B. eine lange
  • Tragedauer an einer bestimmten Stelle

Individuelle Faktoren wie z.B. das Alter, empfindliche Haut, Feuchtigkeit und Schwitzen spielen ebenfalls eine Rolle. Kinder mit Neurodermitis können aufgrund der schlechteren Hautbarriere leichter eine Kontaktallergie entwickeln. Heute deklarieren die meisten Pflaster-Hersteller die Bestandteile bereits auf der Verpackung oder die Information ist auf den Herstellerseiten im Internet frei zugänglich. Diese Transparenz ist für Betroffene sehr wichtig, denn nur so können sie herausfinden, welche Produkte sie meiden müssen. Durch Informationen der meisten Pflasterzulieferer und der medizinischen Literatur ist bekannt, dass heutzutage meist Acrylatpolymere Hauptträger des Klebstoffes sind. Ein Acrylatpolymer in Pflastern medizinischer Hilfsmittel in der Diabetologie besteht meist aus drei unterschiedlichen Acrylaten. Während Acrylatpolymere eher als hypoallergen bezeichnet werden, wurden die Acrylate selbst 2012 von der American Contact Dermatitis Society (<link http: www.dermnetnz.org topics allergy-to-acrylates>www.dermnetnz.org/dermatitis/acrylate-allergy.html, looked up on June 1st, 2016) als “Contact Allergen of the year” (Kontaktallergen des Jahres) benannt. Bei der Polymerisation entstehen bzw. verbleiben auch immer Monomere, die bekannterweise hochallergen sind(5). Außerdem weiß man, dass manche Acrylate stärker und manche weniger stark allergisierend wirken(6,7). Eine Kreuzreaktion untereinander entsteht häufig im Verlauf der Anwendung. Dies bedeutet, dass ein Patient, der auf ein Acrylat in einem Pflaster allergisch reagiert, nach einiger Zeit evtl. auch ein Pflaster mit anderen Acrylaten nicht mehr vertragen kann. Ein Diabetiker, der das Pflaster seines CGM nicht verträgt, kann auch irgendwann auf sein Pumpenpflaster allergisch reagieren oder umgekehrt! Die Allergie bleibt lebenslang bestehen und kann sogar Konsequenzen in anderen Lebensbereichen haben, denn viele andere Dinge des Alltags können Acrylate beinhalten, wie z.B. Waschmittel.


Wie geht man bei Pflasterallergie vor?


Im ersten Schritt ist es wichtig ist, die Hautreaktion sofort und unbedingt beim Vertreiber/Hersteller des Hilfsmittels zu melden! Nur so wird das Problem erkannt
und die Firma hat die Möglichkeit, Zusammensetzungen zu ändern. Im nächsten Schritt sollte man sich bei einem Hautarzt, der allergologisch tätig ist, zur Durchführung eines Epikutantests vorstellen. Klären Sie vorher ab, ob diese Praxis den speziellen Testblock „Kunststoffe/ Klebstoffe gemäß der Deutschen Kontaktallergiegesellschaft“ zur Verfügung hat, denn ein normaler Standardtest ist hier nicht aussagekräftig genug. Grundsätzlich kann jede Praxis einen solchen Testblock bestellen. Alternativ wendet man sich direkt an das Allergiezentrum einer umliegenden Hautklinik.
Hinweis: Ein negatives Ergebnis schließt eine Allergie gegen Acrylate nicht ganz aus, da auch in diesem Block nicht alle Acrylate enthalten sind. Außerdem kann es jederzeit zu neuen Allergien bzw. Kreuzallergien kommen. Hilfreich wäre natürlich, wenn vorab die genaue Zusammensetzung des Acrylatpolymers des jeweiligen Pflasters bekannt wäre – bzw. wenn die Firma die Einzelsubstanzen für einen Test zur Verfügung stellen würde.


So kann ein Tragen evtl. doch gelingen


Derzeit gibt es begrenzte Möglichkeiten, die verschiedenen Hilfsmittel trotz Allergie weiter nutzen zu können. Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich hier nur um Notlösungen handelt! Ein Schutzpflaster, das unter das jeweilige Pflaster angebracht wird, sollte verschiedene Anforderungen erfüllen: Je nachdem, ob es die Diffusion eines Allergens drei oder 14 Tage abhalten muss, sollte es eine gewisse Dicke haben und nicht permeabel (durchlässig) sein. Hier gilt zu bedenken, dass diese Schutzpflaster ebenfalls Acrylate enthalten könnten, so dass es auch hier zu Allergien kommen kann! Wir persönlich haben gute Erfolge bei unseren Patienten mit „Stomahesive® Varihesive Hautschutzplatte“ der Firma ConvaTec in Verwendung mit einem Glukose-Messsystem gemacht. Achtung: Bei verschiedenen Aktivitäten sollte darüber eine Armbinde oder ein Schweißband getragen werden, weil dies nicht fest genug haften könnte. Kollegen aus der Diabetologie berichteten über gute Funktionalität von Biatain® Silikonpflaster der Firma Coloplast. Bei den Schutzpflastern bzw. Platten muss auch bedacht werden, dass ein Messfühler wegen der Dicke der Platte eventuell nicht so tief in die Haut eindringt, daher müssen Messabweichungen mittels herkömmlicher Blutzuckermessung ausgeschlossen werden.


Insgesamt ist die Zusammenarbeit zwischen Patienten, Diabetologen, Hautärzten und den herstellenden Firmen sehr wichtig, denn es ist anzunehmen, dass mit steigender Verwendungszeit Allergien inkl. der Kreuzallergien immer häufiger werden. Das Interesse der Patienten an CGM/FGM-Systemen ist weltweit sehr hoch – deshalb handelt es sich hier keineswegs um eine Minderheit, die in den nächsten Jahren betroffen sein könnten. Daher muss gehandelt werden. Aus allergologischer Sicht scheint derzeit am ehesten eine acrylatfreie Pflastervariante z.B. auf Silikonbasis sinnvoll.


Literaturstellen:

  1. Agarwal S, Ehrlich A: Stoma dermatitis: prevalent but often overlooked. Dermatitis 21:138-147, 2010
  2. Saccabusi S, Boatto G, Asproni B, Pau A: Sensitization to methyl methacrylate in the plastic catheter of an insulin pump infusion set. Contact Dermatitis 45:47-48, 2001
  3. Jolanki R, Kanerva L, Estlander T, Henriks-Eckerman ML, Suhonen R: Allergic contact dermatitis from phenoxyethoxy ethylacrylates in optical fiber coating, and glue in an insulin pump set. Contact Dermatitis 45:36-37, 2001
  4. Schwensen JF, Friis UF, Zachariae C, Johansen JD: Sensitization to cyanoacrylates caused by prolonged exposure to a glucose sensor set in a diabetic child. Contact Dermatitis 74:124-125, 2016
  5. Tokumura F, Matsui T, Suzuki Y, Sado M, Taniguchi M, Kobayashi I, Kamiyama M, Suda S, Nakamura A, Yamazaki Y, Yamori A, Igarashi R, Kawai J, Oka K: The potential dermal irritating effect of residual (meth)acrylic monomers in pressure sensitive adhesive tapes. Drug Chem Toxicol 33:1-7, 2010
  6. Kanerva L, Jolanki R, Estlander T: 10 years of patch testing with the (meth)acrylate series. Contact Dermatitis 37:255-258, 1997
  7. Dearman RJ, Betts CJ, Farr C, McLaughlin J, Berdasco N, Wiench K, Kimber I: Comparative analysis of skin sensitization potency of acrylates (methyl acrylate, ethyl acrylate, butyl acrylate, and ethylhexyl acrylate) using the local lymph node assay. Contact Dermatitis 57:242-247, 2007

Alle Bilder: © Dr. Stefanie Kamann