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Neue Technik - Fluch oder Segen?

In ICE, U-Bahn, Bus und Tram – überall das gleiche Bild: Viele haben ein Smartphone in der Hand oder Tablet bzw. Notebook auf dem Schoß, sind komplett vertieft und kriegen links und rechts nichts von der Welt mit. Wenn alleine unterwegs, dann mag das ja noch gehen. Aber, so meine Beobachtung: Auch bei Gruppenunternehmugen sind die Smartphones der einzelnen Beteiligten immer in Reichweite und oft die reinsten „Zerstör“-Faktoren einer flüssigen Unterhaltung! Gibt ein solches Teil ein Geräusch von sich, hat es die volle Aufmerksamkeit.

Ich gebe zu, damit kann ich wenig anfangen. Noch besitze ich ein ganz normales Handy, handlich und mit langer Akku-Laufzeit. Und – noch viel schlimmer kann es für Handyfreaks nicht kommen - da wenig genutzt auch nur mit Prepaid-Karte versehen. Da mag sich mancher fragen: Ja, warum hat die denn überhaupt ein Handy? Ganz einfach – für mich geht es ums Erreichbar-sein, wenn es wichtig ist und auch ums Telefonieren-können, falls es dringend nötig wird. Anders als die jüngere Generation führe ich die meisten Gespräche immer noch von zuhause aus und über Festnetz.

Noch bin ich also ein altertümliches Fossil – aber ewig werde ich mich der neuen Technik nicht verwehren können, denn der Druck von außen steigt – WhatsApp ist praktisch und umsonst, SMS je nach Vertrag nicht – leuchtet mir ein. Aber ich liebe mein robustes, handliches Ding, das lange nicht jeden Abend eine Steckdose braucht!

Wegen der fehlenden Möglichkeiten im Internet zu surfen oder unterwegs Mails zu lesen, schützt es mich auch davor, ständig online sein zu müssen. Jeder weiß – wenn ich unterwegs bin, hilft nur anrufen oder SMS. Entweder ist das Anliegen dafür wichtig genug oder es muss eben warten. Dies ist auch eine Form des Selbstschutzes vor Dauererreichbarkeit und noch mehr Überflutung, denn ich habe den Eindruck, dass viele von uns darunter leiden - aber die wenigsten trauen sich, hier für sich selbst klare Grenzen zu setzen. Selten droht die Welt unter zu gehen, wenn wir nicht ständig online sind und sofort reagieren.

Schauen wir doch mal wenige Jahrzehnte zurück – vor 20 Jahren waren Handyverträge noch teuer, wenige hatten eins. Niemals hätte ich gedacht, dass diese Dinger heute nahezu unverzichtbar sind.

Unser erstes Handy

Unser erstes Familienhandy schafften wir 1994 an – nicht für uns, sondern um unserer damals dreijährigen an Typ 1 erkrankten Tochter den Besuch einer Kindergruppe zu ermöglichen: Weil im Pfarrheim kein Telefon vorhanden war, stellten die Erzieherinnen die Bedingung, dass sie ein Handy für Notfälle bei sich haben sollte, damit sie Hilfe holen könnten. Das Handy gab ihnen Sicherheit - benutzt werden musste es nie.

Eltern von Kindern mit Diabetes immer erreichen zu können, ist auch heute für Erzieher und Lehrer oft eine Bedingung und gibt ihnen das Gefühl, nicht alleine mit der Betreuungssituation zu sein. Nach meiner Beobachtung fällt die Entscheidung, dem eigenen Kind ein Handy mit zu geben, deutlich früher als bei einem gesunden Kind. Das ist auch verständlich – so kann das Kind die Eltern schnell und ohne Umwege erreichen, wenn es ihm nicht gut geht. Oder mal schnell ein Foto von der Essensportion in der Ganztagsschule senden und fragen, wie viel KE da wohl drin sein könnten und wie viel Insulin jetzt nötig ist.

Ja, Fluch und Segen liegen sehr nah beieinander. Wir alle stehen in der Verantwortung uns selbst und anderen gegenüber, die segensreiche Seite der modernen Technik zu erkennen und zu nutzen, ohne dabei dem Fluch der ständigen Erreich- und Einsetzbarkeit zu erliegen.

Wir alle brauchen auch mal Auszeiten.

Ich wünsche uns allen die Weisheit, das richtige Maß zu erkennen.

Ihre Marion Köstlmeier