Berichte Kinder & Jugend Stories

Diabetes-Erstmanifestation meines Sohnes

Erfahrungsbericht von Dorothea Fading

Durch diese Tür hätte ich mir gewünscht, nie gehen zu müssen. „Kinderintensivmedizin“ stand darüber und ich trat durch eben diese Tür am 14. Dezember 2015 - mit unserem verängstigten, damals 15-monatigen Korbinian auf dem Arm und voller Panik in absoluter Ungewissheit, wie sich unsere nächsten Jahre gestalten würden. Was war geschehen?

Nachdem wir ein sehr anstrengendes erstes Lebensjahr mit unseren Zwillingsjungs erfolgreich gemeistert hatten und inständig auf einige Verschnaufpausen im zweiten Lebensjahr hofften, kam alles ganz anders. Zwei Wochen lang plagte mich die Sorge, dass der eine unserer Zwillinge – Korbinian - Diabetes haben könnte. Auch wenn mich alle Leute aus meinem Umfeld, denen ich dies mitteilte, beruhigten und meinten, die Unzufriedenheit und das Nicht-Zunehmen läge sicher am Zahnen, wurde ich von Tag zu Tag unruhiger. Einen Augenblick nach dem Piks beim Kinderarzt drangen dessen Worte an mein Ohr: „Frau Fading, Sie haben hervorragend und schnell reagiert. Sie hatten leider völlig recht. Der Blutzucker liegt bei 530 mg/dl. Wir müssen Ihren Sohn gleich ins Krankenhaus einweisen.“ Die Tränen liefen mir über das Gesicht. Ich hatte nur eine vage Ahnung, was uns nun alles bevorstehen würde.

Da ich den Diabetes Gott sei Dank so frühzeitig entdeckt hatte, ging es Korbinian noch den Umständen entsprechend gut. Dennoch folgte im Krankenhaus der nächste Schock: Die Dame bei der Notaufnahme wollte uns zunächst ganz normal im Notaufnahmebereich warten lassen! Ich wies ein weiteres Mal auf unsere bereits erfolgte Voranmeldung vom Kinderarzt hin. Daraufhin kam sehr zügig eine Kinderkrankenschwester, die uns sofort auf die Kinderintensivstation schickte. Ich war mit den Nerven völlig am Ende, assoziierte ich doch mit der Intensivstation augenblicklich extrem schwere Krankheitsverläufe und häufige Todesfälle. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass es sich mit der Intensivstation für Kinder etwas anders verhält als bei der für Erwachsene.

Wie sehr habe ich in dieser Nacht gelitten… Am Mittag desselben Tages hatte ich noch unser Alltagsleben durchlaufen, mit den Mädchen Hausaufgaben gemacht und mit den Zwillingen gespielt - nur einige Stunden später hielt ich die Hand von Korbi, die durch das sehr schmerzhafte Legen zweier Zugänge ganz blutverschmiert war. Hatte ich Korbi nachts in den vergangenen Wochen und Monaten stets ein- bis viermal gestillt, durfte er jetzt innerhalb der nächsten zwölf Stunden genau 50 ml Wasser trinken und auf keinen Fall gestillt werden.

Dazu kam, dass es auf der Intensivstation keine Aufnahmemöglichkeit der Mutter gab, so dass ich neben Korbis Bett auf einem Stuhl bzw. ab den frühen Morgenstunden einem Liegestuhl ausharren musste. Während Vinzi entgegen meiner Befürchtungen auch in der ersten Nacht ohne mich und das Stillen gegen 22 Uhr – völlig verkabelt - gut ein- und durchschlief, bekam ich während dieser Nacht kaum ein Auge zu. Ich hielt ihm bei jedem Blutzuckermessen im Halbstundentakt und bei den Infusionswechseln die Hand. Wider Erwarten –ich hatte viel Schlimmeres befürchtet – akzeptierte er ohne größeres Gebrüll für diese Nacht den erzwungenen Brustentzug.

Am Folgetag wurden wir gegen Mittag auf die normale Station verlegt. Kurz darauf kamen bereits die Oberärztin und die sehr nette Diabetesberaterin, die sich schon im Vorfeld über die für unseren Sohn am besten geeignete Insulinpumpe beraten hatten. Wie unerfahren war ich doch, hatte ich wirklich gedacht, dass das Tragen einer Insulinpumpe uns die meiste Arbeit des Diabetesmanagements abnehmen würde….In den nächsten Tagen lernten mein Mann und ich in einer Schulungseinheit nach der anderen, was wir ab jetzt alles beachten müssen. Erst peu à peu wurde mir das ganze Ausmaß dieser Autoimmunerkrankung klar und ich ahnte, dass sich unser Leben noch einmal extrem verkomplizieren würde. Die folgenden Wochen waren unglaublich anstrengend. Spätestens alle 24 Stunden mussten wir Korbi einen neuen Katheter für die Insulinpumpe setzen. Seit damals gilt: Vor jeder Mahlzeit, die er zu sich nimmt, muss ich den Blutzucker messen, das Essen abwiegen, die darin enthaltenen Kohlehydraten in KE-Einheiten umrechnen und diese mit dem jeweiligen Mahlzeitenfaktor (abhängig von der Tageszeit) multipliziert als Bolus über die Insulinpumpe abgeben.

Bei jeder Mahlzeit, die ich alleine mit unseren vier Kindern verbringe, bin ich schweißgebadet. Ich kann auf die lebhaften Gespräche der Kinder gar nicht mehr so richtig eingehen, weil ich hauptsächlich damit beschäftigt bin, die Zwillinge zum Sitzenbleiben in ihren Hochstühlen anzuhalten und gleichzeitig aufzupassen, wie viel Korbi isst.

Die Zeit wird uns hoffentlich in den kommenden Jahren in mehrfacher Weise ein entspannteres Diabetesmanagement bescheren. Dagegen kann uns leider niemand das Damoklesschwert abnehmen, dass Korbis Zwillingsbruder Vinzenz ebenfalls mutierte Gene, welche die Entstehung von Typ-1-Diabetes begünstigen, in sich trägt.