In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und den Vorsitzenden
des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Josef Hecken haben sich die Spitzen der Diabetes-
Selbsthilfeverbände in Deutschland kritisch zum Zustand der Selbstverwaltung im deutschen
Gesundheitswesen geäußert.
Anlass dieser Positionierung ist die Vorlage eines Referentenentwurfs zum einen „Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit“ (GHG) durch das BMG vor einigen Wochen.
Nach Ansicht der Diabetes-Patientenvertreter geht der Referentenentwurf eines GHG inhaltlich in eine richtige Richtung. Es ist dringend erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, damit die enormen Ausgaben für das Gesundheitswesen in Deutschland – die mit knapp 5.000 Euro pro Einwohner und Jahr über 50 % höher sind als im Durchschnitt der EU-Staaten – zu einer höheren Lebenserwartung führen als in anderen EU-Ländern.
Auch weil Deutschland eine der höchsten altersstandardisierten Sterblichkeitsraten durch Herz-
Kreislauf-Erkrankungen in der EU hat, muss genau hier angesetzt werden. Der Referentenentwurf
zeigt aber auch sehr klar auf, dass die Herz-Kreislauf-Erkrankungen ganz überwiegend durch
„modifizierbare Lebensstilfaktoren“ verursacht sind, wie zum Beispiel ungesunde Ernährung,
Bewegungsmangel, Rauchen und Alkoholkonsum.
Das sind alles exakt auch diejenigen Treiber für das starke Wachstum von Diabetes mellitus Typ 2, auf die die Diabetes-Selbsthilfeverbände seit Jahren hinweisen und für die Gegenstrategien gefordert werden, wie zum Beispiel die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für ungesunde Lebensmittel und eine Zuckersteuer.
Der Referentenentwurf setzt hier nun an durch ein Bündel an Maßnahmen zur Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen und bei Erwachsenen, mit der Stärkung von sog. „Disease-Management-Programmen“ (DMPs), mit der Vorbeugung, mit der Unterstützung der Reduzierung des Nikotinkonsums und mit Regelungen zur Stärkung der Apotheken bei der niedrigschwelligen Beratung und der Prävention.
Neu ist jedoch aus Sicht der Patientenvertreter, dass Bundesminister Lauterbach mit diesem GHG eine ganz besondere Schwachstelle im deutschen Gesundheitswesen offenlegt: die bürokratisch überbordende und damit zur Langsamkeit verdammte Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.
Diese Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist eine wichtige Säule einer funktionierenden gesundheitlichen Versorgung in Deutschland, in dem der Staat zwar die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Aufgaben vorgibt, die Versicherten und Beitragszahler sowie die Leistungserbringer sich jedoch selbst in Verbänden organisieren, die in eigener Verantwortung die medizinische Versorgung der Bevölkerung übernehmen.
So steht es auch im Sozialgesetzbuch SGB V. Das ist grundsätzlich auch gut so, weil eine „Staatsmedizin“, wie sie zum Beispiel in England existiert, keine Garantie einer besseren Versorgung bietet. Wenn aber diese Selbstverwaltung den Erfordernissen einer modernen, digitalisierten, personalisierten und sich in jeder Hinsicht rasant verändernden Gesundheitsversorgung nicht mehr gerecht werden kann, sondern sich überwiegend mit sich selbst beschäftigt, unter langwierigen Prozessen und Blockaden der Interessenvertreter leidet, dann birgt dieses System Risiken für eine funktionierende gesundheitliche Versorgung.
Dies scheint im BMG erkannt worden zu sein, da im Referentenentwurf des BMG zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ an verschiedenen Stellen von einer "Rechtsverordnungsermächtigung" zur Umsetzung konkreter Vorgaben die Rede ist. Im Referentenentwurf wird der Gemeinsame Bundesausschuss der Selbstverwaltung (G-BA) gesetzlich beauftragt, Anforderungen an ein neues strukturiertes Behandlungsprogramm für behandlungsbedürftige Versicherte mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu beschließen.
Dieser signifikante Eingriff in die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen wird auch von uns Patientenvertretern der Diabetes-Selbsthilfe als sinnvoll und erforderlich erachtet, weil in der jüngsten Vergangenheit erkennbar war, dass die Akteure im G-BA mit dem Verweis auf evidenzbasierte Medizin die Überarbeitung geltender DMPs verzögert und neue DMPs nicht befördert haben.
Aus Sicht der Patientenvertreter kommt es nun insbesondere auf die Geschwindigkeit an, unser Gesundheitswesen zu reformieren und es in der Leistungs- und Ergebnisqualität zu verbessern. Dazu müssen die Prozesse in der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen schlanker, schneller, genauer und wirksamer werden.
Deshalb begrüßen wir als Patientenvertreter, dass mit dem Referentenentwurf zum GHG diese Diskussion angestoßen wird und hoffen im Interesse der über 8 Millionen chronisch erkrankten Menschen mit Diabetes, aber auch im Interesse aller anderen Patienten, auf einen sachlichen und am Ergebnis orientierten Diskurs.
Als Patientenvertreter fordern wir zudem und wiederholt ein Stimmrecht für die Patientenvertretung im G-BA. Es kann nicht sein, dass die Betroffenen, denen ja vordergründig alle Bemühungen um Verbesserungen im Gesundheitswesen gelten, bei den Beratungen in der Selbstverwaltung nur als „Zaungäste“ zugelassen sind, zwar mit Rederecht, aber ohne Mitentscheidungsrechte.
Berlin, 2. August 2024
Leonhard Stärk
Vorsitzender des Vorstands | Deutsche Diabetes Föderation e.V., Berlin
Sandra Schneller
Bundesvorsitzende | Deutscher Diabetiker Bund e.V., Berlin
Dieter Meier
Vorstandsvorsitzender | Diabetikerbund Bayern e.V., Nürnberg
Arnfred Stoppok
Landesvorsitzender | Diabetiker Niedersachsen e.V., Ohrum
Norbert Kuster
Vorstandsvorsitzender| Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes LV NRW e.V., Duisburg