Berichte Kolumne

Mut zur digitalen Auszeit

Heute gehören Internet und E-Mails für die meisten von uns zum Alltag. Wir haben Dank Smartphone fast überall und jederzeit Zugriff darauf, nicht nur im Büro oder am heimischen Computer. Ein Leben ohne dies ist für viele nicht mehr denkbar. Doch wir nicht mehr ganz Jungen kennen die Welt auch anders! Und das ist erst gut 20 Jahre her!


Gehen wir noch ein Stück zurück: Bis ich knapp neun Jahre alt war, hatten wir kein Telefon - nur eine einzige Nachbarsfamilie hatte eines, weil sie selbstständig waren! Und ich erinnere mich auch, wie schwierig es  war, meine Oma einige Jahre später davon zu überzeugen, sich ein Telefon zuzulegen! Ein festes Ritual bei allen Ferienaufenthalten war, jeweils Mittwochs und Sonntags pünktlich um 18 Uhr von der einzigen, mitten im Dorf gelegenen Telefonzelle zuhause anzurufen. Heute hat nahezu jeder ein Telefon, viele ein Handy bzw. ein Smartphone, mit dem sie fast überall und jederzeit verfügbar sind, nicht nur privat, sondern auch im Beruf.


Natürlich bringt das viel Gutes mit sich. Informationen können kurzfristiger und direkter weiter gegeben werden. Ein Beispiel: Früher verschickten wir zur Information der Selbsthilfegruppenleiter in der Regel zweimal im Jahr umfangreiche Rundbriefe – heute wäre dieser Turnus undenkbar! Die Info-Briefe wurden ersetzt durch Rundmails, mit denen zeitnah wichtige Informationen für die Gruppenarbeit und zur Weitergabe in den Gruppen versandt werden. Neu seit 2017: Mitglieder, die uns ihre E-Mail-Adresse mitgeteilt haben, profitieren von Rundmails zu kurzfristig wichtigen Themen, denn die Mitgliederzeitschrift kontakt hat einen längeren Vorlauf.
Die Vorteile überwiegen, aber: Wo Licht ist, ist meist auch Schatten. Die Vielfalt der Möglichkeiten und Informationen erhöht sich ständig – und damit auch die Erwartungen von uns und anderen, immer „am Ball“  bleiben und verfügbar sein zu müssen. Oder: Tut sich irgendeine Frage auf, wird das Handy gezückt und eine Suchmaschine befragt.


Diese Fülle der Möglichkeiten gepaart mit realen oder auch nur an uns selbst geknüpften Erwartungen bergen die Gefahr der Überlastung, die wir leider, anders als im sportlichen Bereich, nicht so leicht wahrnehmen können. Wir alle brauchen auch mal Pausen, ungestörte Zeiten der Muse. Denken Sie an kleine Kinder: Sie können komplett versunken im aktuellen Spiel versinken – so sehr, dass sie es manchmal verpassen, rechtzeitig auf die Toilette zu gehen.


Wie mir geht es sicher vielen: E-Mails im Job, E-Mails im Ehrenamt und private E-Mails – da kommt viel zusammen. Wichtiges wird sofort erledigt, weniger wichtiges später, aber dann gibt es noch zahlreiche andere E-Mails und Newsletter zu interessanten Themen, mit denen man sich irgendwann mal beschäftigen will – wenn Zeit dafür ist! Und so wächst der Turm dieser Sorte ungelesener Nachrichten!


Vieles verschob ich oft in den Urlaub: „Da hast Du ja Zeit“. Meist hab ich das dann auch getan - und anderes, auf das ich mich gefreut hatte, eben nicht. Um Weihnachten herum stand ich wieder vor dem Berg – und es zog mich so gar nicht an irgendeinen Computer oder ans Smartphone. Ganz im Gegenteil: Mir wurde klar, wie viel wertvolle Zeit ich für solche vermeintlich wichtigen digitalen Informationen verschenke und was im Gegenzug dafür auf der Strecke geblieben ist: Früher habe ich ganz viele Geschenke selbst gemacht, gebastelt, gestrickt, gehäkelt, genäht, viele Bücher gelesen, stundenlang mit Freundinnen telefoniert, Kurse besucht usw. – aber in den letzten Jahren: wenn der Computer am Abend erst mal an war...
Nein, jetzt war Urlaub und Schluss! Es muss auch mal wieder was anderes her. Die Welt funktioniert auch, wenn ich nicht alles gelesen habe. So war ich tagelang „weg vom Netz“: Und da öffnete sich endlich der Raum, vieles von dem, was lange brach gelegen hatte, wieder zu entdecken - es hat so unendlich gut getan. Ich hab mir fest vorgenommen: Ich werde mir solche Auszeiten jetzt öfter gönnen! Und das sollten wir alle tun!


Die Welt läuft trotzdem weiter, die Fülle und die Schnelligkeit der Informationen wird sich weiter beschleunigen, jedoch: Nur Informationen nutzen niemandem – man muss auch was daraus machen. Das erfordert Manpower, Zeit, Kraft und Engagement. Fehlt nur einer dieser Bausteine, z.B. weil wir uns „verloren“ haben, kommen wir nicht vorwärts.


Die Sammlung von Informationen und das Verbreiten wird sich weiter beschleunigen – die Lehren aus dem neuen Wissen zu ziehen und etwas zu verändern dauert aufgrund von komplizierten Wegen mit zahlreichen bürokratischen Hürden lange. Möglicherweise gibt es hierfür auch mal Lösungen?


Ich wünsche Ihnen einen schönen Frühling!


Ihre Marion Köstlmeier