Berichte

Leben mit meinem Diabetes – Umgang mit Grenzen

Am 10.04.2018 war Dr. Rudolf Herrmann aus Bad Kissingen mit dem Thema „Leben mit meinem Diabetes – Umgang mit Grenzen“ bei uns zu Gast. Zunächst erinnerte er an Klaus Walter, unseren im Vorjahr verstorbenen Gruppenleiter, über den sein Kontakt zur Schwabacher Selbsthilfegruppe zustande gekommen war und an dessen Motto: „Kein Mensch ist gerne Diabetiker, aber was hindert mich daran, das Beste für mich daraus zu machen?“

Grenzen haben stets zwei Seiten: einerseits sind sie Einschränkungen und Hindernisse, andererseits bieten sie aber auch Schutz und Sicherheit. Sie grenzen ein oder aus. An dieser Stelle entwickelte sich eine intensive Diskussion zwischen Dr. Herrmann und mehreren bereits als Kind erkrankten Langzeitdiabetikern. Einige belastete es, wenn andere z.B. während sportlicher Aktivitäten Rücksicht auf sie nehmen mussten, obwohl das stets klaglos akzeptiert wurde. Andere hatten die Erfahrung gemacht, dass Stoffwechselgesunde keine Probleme damit hatten und kurze Pausen sogar begrüßten. Der Unterschied lag darin, dass erstere mit sehr vielen Geschwistern aufgewachsen waren und sich deshalb stets zurücknehmen mussten, während die anderen den Diabetes bereits im zweiten Lebensjahr bekamen und deshalb schon von Anfang an die ständige Berücksichtigung dieses Handicaps gewöhnt waren. Sie hatten sich die Sichtweise zu eigen gemacht: „Mich gibt es nur mit Diabetes!“ In diesem Zusammenhang wies Dr. Herrmann darauf hin, dass jede Schulung für Typ-1-Diabetiker auch das Thema Selbstwertgefühl umfassen sollte. Leider seien Ärzte jedoch nicht darauf vorbereitet, dass chronische Krankheiten oft mit psychischen Belastungen verbunden seien.

Anschließend ging es um den konstruktiven Umgang mit Begrenzungen. Der wichtigste Punkt war, überhaupt etwas zu tun. Mögliche Ansatzpunkte sind: Grenzen überwinden (durch Kampf, Mut und Ausdauer), Grenzen annehmen (durch Bescheiden- und Gelassenheit), Alternativen suchen (mit Phantasie, Wissen und Mut) und geeignete Hilfen in Anspruch nehmen (durch Fachleute, Angehörige, SH-Gruppen oder passende Hilfsmittel).

Leben bedeutet, immer wieder auf Grenzen zu stoßen. Sie sind oft wie Mauern. Man kann sie aber auch als Geländer sehen, die einerseits Orientierung, Halt und Sicherheit geben und eine Schutzfunktion haben, andererseits aber auch behindern, einengen, beschränken und Freiheiten begrenzen. Als Beispiele für einengende Grenzen bei Diabetes nannte Dr. Herrmann:

  • Einschränkungen bei der Auswahl von Essen und Trinken, dadurch Beeinträchtigung der Spontanität
  • Lästige aussagekräftige Dokumentation, nerviger Mehraufwand im Alltag
  • Permanente Gefahr einer Unterzuckerung, dadurch ständige Hab-Acht-Stellung
  • Misserfolge trotz gewissenhafter Bemühungen
  • Ggf. Einschränkungen durch Folgeerkrankungen
  • Zusatzaufwand für Arztbesuche, Fußpflege etc.
  • Unangenehme Gefühle wie Hilflosigkeit, Enttäuschung, Wut, Traurigkeit, Verzweiflung


Als Fazit der sehr interessanten Veranstaltung bleibt: Lebenskunst und Lebensglück bestehen darin, immer wieder ein Gleichgewicht anzustreben zwischen der Entdeckung und Nutzung von Freiräumen einerseits und dem Erkennen und der Achtung eigener Grenzen andererseits. (Ulrike Reinhardt)

Dr. Rudolf Herrmann, Bad Kissingen © Ulrike Reinhardt