Berichte

Karl-Heinz Stupka, Rückblick auf meinen Diabetes und die Selbsthilfe von 1974 bis heute

Name:        Karl-Heinz Stupka, SHG Weiden und Umgebung

Was hat Dich dazu bewogen, Dich zu engagieren? Gereizt hat es mich aus vier Gründen:

  1. Hoffnung, nun endlich mit anderen Betroffenen einen Austausch führen zu können
  2. Diesen in der Region eine Anlaufstelle zu bieten
  3. Den neu erkannten Diabetikern gleich als Anfangsanlaufstelle zur Verfügung zu stehen
  4. Die organisatorische Herausforderung dieser Aufgabe
     

Lebensmotto:        Eine der vielen Handwerkerregeln: „In der Ruhe liegt die Kraft“.

Seit 1974 begleitet mich mein Diabetes, früh war ich auf der Suche nach Austausch - und so kam es, dass ich aktiv wurde und mich engagiert habe. Gemeinsam mit Ihnen will ich auf meine Diabetes-Geschichte und damit auch die Entwicklung der Selbsthilfe in Weiden zurückblicken.

Mein Diabetes Typ 1 wurde im Jahr 1974 festgestellt. Es war der Dienstag nach Ostern, ich landete umgehend im örtlichen Krankenhaus. Dort lagen Unterlagen des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB) und das Diabetes-Journals (DJ) aus.

Mit diesen Unterlagen bewaffnet und der Einstellung auf zwei „Diabetes-Tabletten“ (Euglucon®) wurde ich nach 14 Tagen entlassen. Ich meldete mich umgehend als Mitglied beim DDB und Abonnent des DJ (damals noch nicht im Beitrag enthalten) an. Die Tabletteneinstellung funktionierte übrigens nur ca. ½ Jahr - während der Remissionsphase.

Die Bundesgeschäftsstelle des DDB befand sich damals in Kaiserslautern. Von dort erhielt ich ein erstes Informationsschreiben, in dem auch auf die ehrenamtliche Landesvorsitzende in Bayern, Olga Hechtel, hingewiesen wurde. Sie sandte mir in diesem und nächsten Jahr noch jeweils ein ausführliches Informationsschreiben zu. Ab Januar 1976 wurde Leo Malcherczyk mit dem Landesvorsitz betraut - mit Datum 01.02.1976 erhielt ich den ersten kontakt (Ausgabe 1/76).

Obwohl ich mich so gerne mit anderen Betroffenen ausgetauscht hätte, kannte ich in dieser Zeit keinen einzigen Typ 1-Diabetiker in meiner Umgebung. Mit meinem damaligen Hausarzt hatte ich ein sehr gutes Verhältnis. In seiner Ausbildungszeit war er wohl auch bei Prof. Dr. Mehnert in München-Schwabing tätig, wie er stolz erzählte. Trotzdem hätte ich gerne mit anderen Diabetikern gesprochen, nicht nur mit Ärzten.
Im kontakt Ausgabe 2/78 las ich eine Kontaktadresse (Vorläufer eines Bezirksverbands) in Regensburg. Diese nutzte ich sofort - das war eine kleine Erleichterung!

Auf der Landesdelegiertenversammlung im Juli 1982 wurde Inke Kuhn aus Schwabmünchen zur Landesvorsitzenden und Anita Storch aus München zur stellv. Landesvorsitzenden gewählt. Dies war für die Gründung der Selbsthilfegruppe (SHG) Weiden, und dadurch auch für mich persönlich, von immenser Bedeutung. Schon mit Rundschreiben vom 18.09.1982 nahm die neue Vorstandschaft mit den Mitgliedern außerhalb der bestehenden Bezirksverbände Kontakt auf. Es wurde ihre Bereitschaft zur Gründung/Mitarbeit bei neuen BV`s (damals noch Bezirksverband und nicht SHG) abgefragt. Interessierte Mitglieder konnten mit einer Rückantwortkarte ihre Bereitschaft bekunden. Natürlich war dies für mich, der schon so lange auf der Suche nach gleichbetroffenen/-gesinnten Diabetikern war, ein Fingerzeig. Ich meldete mich umgehend bei der Vorstandschaft.

Im folgenden Jahr traf ich mich mit Anita Storch in München. Sie erklärte mir die Herangehensweise zur Gründung von BV‘s. Es war geplant, mit einem Team von Mitgliedern des DDB Landesverband (LV) Bayern sowie einem Schulungsteam des Schwabinger Krankenhauses unter der Leitung von Prof. Dr. E. Standl, in bayerischen Städten Vortragsabende zu organisieren und dabei die Gründung einer örtlichen Diabetiker-SHG anzusprechen - und, falls möglich, gleich feste Vereinbarungen dazu zu treffen.

So geschah es dann am 18. November 1983 in Weiden. Nach organisatorischen Vorbereitungen, Öffentlichkeitsarbeit, Raumsuche u.a., war es am Freitagabend, um 18.30 Uhr, in den Räumen der VHS Weiden, soweit – ein historisches Ereignis für die ca. 100 anwesenden Diabetiker aus der Region! Erstmalig hörten sie von kompetenter Seite fünf verschiedene Vorträge zu Grundlegendem über Typ 1, Typ 2, Kinder-Jugendliche-Eltern-Problematiken, Ernährung und Fußpflege.

Im Anschluss wurde gefragt, wer sich weitere Vorträge vor Ort wünsche und ob sich jemand zutraue, dies organisatorisch in die Wege zu leiten. Viele Teilnehmer trugen sich umgehend in eine Liste für weitere Veranstaltungen ein - und zwei Diabetiker vor Ort, ich war einer der beiden, erklärten ihre Bereitschaft, dies, soweit es in ihrer Macht steht, zu organisieren. Daraufhin wurde für den nächsten Januar gleich ein Termin vereinbart und bekannt gegeben.

Nach erfolgreicher Suche einer geeigneten Lokalität wurden alle Interessenten angeschrieben - auch die örtliche Zeitung veröffentlichte den Termin. Das Ergebnis: die beiden Organisatoren konnten ca. 60 Teilnehmer begrüßen. Mit ihnen wurde über deren Erwartungen, Wünsche und Themen für eine zu gründende SHG gesprochen. Somit war das erste Treffen in Eigenregie gut über die Bühne gegangen.

Dem Wunsche der Teilnehmer entsprechend wurde gleich im Februar mit Unterstützung der Volkshochschule (VHS) ein Kochkurs in deren Räumen organisiert. Aufgrund der großen Nachfrage musste er im März wiederholt werden. Im April sprach mit einem örtlichen Internisten erstmalig ein Arzt vor Ort über das Thema: „Grundlegendes über Diabetes“. Im Jahre 1984 folgenden noch Vorträge der Diätassistentin vom örtlichen Krankenhaus, ein örtlicher Bäckermeister stellte sein Gebäck für Diabetiker vor, ein Laborarzt erläuterte den HbA1-Wert, ein Augenarzt referierte und der Weihnachtsbackkurs im Dezember musste wegen der großen Teilnehmerzahl auch gesplittet werden. Wichtig war, in zweifacher Hinsicht, der Novembervortrag des ehemaligen Vorsitzenden den DDB LV Bayern, Leo Malcherczyk. Als Fachmann für Soziales sprach er über „Rechtsfragen des Diabetikers und seiner Angehörigen“. Die Organisatoren wollten ja bald eine SHG ins Leben rufen und dafür war mit Herrn Malcherczyk ein Fachmann für diese Regularien vor Ort. Mit ihm wurde ausführlich die geplante SHG-Gründung be- und abgesprochen.

Mit der Wahl einer Vorstandschaft im März 1985 war die SHG Weiden gegründet. Die beiden bisherigen Organisatoren waren als Vorsitzender und stellv. Vorsitzender im Führungskreis vertreten.

Nun, unter dem Dach einer SHG, wurden auch Treffen von Eltern diabetischer Kinder organisiert, welche zeitweise als eigenständige Veranstaltung, parallel zu den Veranstaltungen der SHG, durchgeführt wurden. Auch speziell für Typ 1-Diabetiker wurden über einen längeren Zeitraum eigenständige Treffen organisiert.
Wir fuhren mit dem Bus zu Diabeteskliniken, teilweise in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen in der Nachbarschaft. So entwickelte sich die Diabetiker-SHG langsam als fester Bestandteil und Anlaufstelle für die regional ansässigen Diabetiker.

Als Referenten der monatlichen Veranstaltungen konnten u.a. Fachärzte, Pharmavertreter, Ernährungsfachleute und andere Fachdisziplinen zu Themen wie Insulinpumpe, orale Diabetikermedikamente, neue Ernährungsrichtlinien, Krankenkassenbestimmungen und vieles mehr gewonnen werden.

Im Laufe der Zeit kristallisierten sich zwei Jahreshöhepunkte heraus: eine kleine Wanderung mit vorherigem Kaffeetrinken und abschließender Brotzeit im Spätsommer und eine Jahresabschluss-/Weihnachtsfeier im Dezember.

Neben diesen mehr oder weniger „normalen“ Veranstaltungen, kamen im Laufe der Zeit immer auch besondere Aktivitäten dazu. So besuchten wir - mal zu zweit, manchmal mit einem kleinen Team - kleinere Städte in der Umgebung von Weiden, stellten dort unsere ehrenamtliche Arbeit für Diabetiker vor, gingen dabei auch auf das eine oder andere spezielle Diabetesthema ein. Wir versuchten, Interesse zu wecken und somit auch Mitstreiter vor Ort zu gewinnen. Dies hatte besonders in der Stadt Tirschenreuth Erfolg. Die dort 1988 (Ausgabe kontakt 2/1988) gegründete SHG Tirschenreuth ist jetzt immer noch, immerhin schon mit der dritten Vorstandschaft, erfolgreich aktiv. Auch in anderen Städten wie Kemnath, Pfreimd, Vohenstrauß oder Oberviechtach war zeitweise eine Diabetikergruppe mehr oder weniger eigenständig tätig, welche aber zwischenzeitlich, wie so viele andere Selbsthilfegruppen in Bayern, nicht mehr existieren.

Das Schulungsteam von 1983 hat an dem Wochenende 18./19.11.83, nicht nur in Weiden, sondern nach der gemeinsamen Übernachtung vor Ort, am Samstag, den 19.11., in der Nachbarstadt Amberg den gleichen Vortragsabend gehalten. Dort stellte sich Gerd Kamm als Organisator und späterer SHG-Leiter zur Verfügung. Bis zu seinem Tod 2012 leistete er, mit einer Unterbrechung, eine ganz tolle Selbsthilfearbeit.

Ab 1999 wurden sogenannte Regionalverbände (RVs) eingerichtet. Sie waren die Zwischenebene zwischen dem Landesvorstand und den SHGn einer Region. Im Regionalverband Oberpfalz-Nord waren die SHG‘n Amberg, Neunburg v. W., Nittenau, Schwarzenfeld, Tirschenreuth und Weiden zusammengefasst. Die Vorstandschaft des Regionalverbandes setzte sich, nach einer Wahl, aus den Vorsitzenden der einzelnen SHGn zusammen. Als dann der Leiter der SHG Amberg 2012 verstarb, versuchten die übrigen Kollegen, die SHG Amberg am Leben zu erhalten und auch wieder eine eigene SHG-Leitung zu finden. Dies klappte auch über einige Jahre ganz gut, zwischenzeitlich gibt es jedoch auch die SHG Amberg leider nicht mehr.

Neben der Vorstellung des Diabetikerbundes in den Städten der Umgebung wurden wir auch von Stellen wie z.B. Krankenhaus, Round Table und anderen Vereinigungen gebeten, unsere ehrenamtliche Arbeit vorzustellen. So geschehen auch bei einem Neubürgertag, bei der Vorstellung aller SHG’n vor Ort oder bei anderen gesundheitlichen Veranstaltungen.

Seit 1998 sind wir neben dem Klinikum Weiden federführend an dem jährlich stattfindenden örtlichen Diabetestag beteiligt. Dieser fand seither ununterbrochen statt - bis zur aktuellen Corona-Pandemie.

An den 1996 und 1999 durchgeführten überregionalen Diabetikertagen im Rahmen von EUREGIO EGRENSIS in Hof und Wunsiedel, hatten wir uns, neben sächsischen und tschechischen Diabetikergruppen, auch gerne beteiligt. Organisator dieser Diabetikertage Bayern-Sachsen-Tschechien war der SHG-Leiter von Hof, Helmut Knöchel - ein begnadeter Organisator und äußerst liebenswerter, sympathischer Mensch, der Kontakte bis nach Tschechien geknüpft hatte. Einmal tauschten wir in Prag unsere Erfahrungen mit dem Vorstand des Tschechischen Diabetikerverbands „dia“ unter ihrem Vorsitzenden Frantisek Poncar aus. Wir in Weiden hatten daraufhin noch einige Zeit einen guten Kontakt und Erfahrungsaustausch zu den Diabetikern in Tachau/Tschechien.

Als Organisator und später SHG-Leiter in Weiden wurde ich auf bayerischer Ebene, teilweise auch überregional, ab 1984 zu Vereinstagungen wie Delegiertenversammlungen, Referentenschulungen und ähnlichen Veranstaltungen eingeladen. Mein Kontakt mit den dortigen Teilnehmern aus anderen Diabetikergruppierungen hat mir immer sehr viel gegeben und mich weitergebracht. Die sich aus den Gesprächen in lockerer Runde ergebenden Informationen und Hinweise waren unglaublich wertvoll für die ehrenamtliche Arbeit in der SHG, und auch für mich persönlich. Für mich waren diese, sowie die gesamten Informationen durch den Diabetikerbund, das Beste, was mir nach meiner Diabetesmanifestation passieren konnte.

In der Corona-Pandemie konnten keine regulären Treffen stattfinden. Seitdem kläre ich Anfragen telefonisch und versuche durch Vermittlung an geeignete Anlaufstellen weiterzuhelfen.

Resümee über fast 40 Jahre Selbsthilfe

Das Resümee über fast 40 Jahre SHG-Bestehen: von Beginn bis Ende der 90iger Jahre war das Interesse an allen Veranstaltungen hervorragend. Zu Beginn der 2000er Jahre pendelte es sich auf „normal“ ein und in den letzten Jahren ist die Besucherzahl immer geringer geworden. Ob es nur am Internet und/oder dem vermehrten Einsatz von Diabetologen und DiabetesberaterInnen liegt? Ich kann es nicht sagen.

Das 40-jährige Gruppenjubiläum, je nach Zählweise in 2023, 2024 oder erst 2025, werden wir bestimmt noch erleben.

 

 

© Karl-Heinz Stupka