Berichte Kinder & Jugend Stories

Hilft man uns oder helfen wir uns selbst? Michaela Micheli, SHG „Sweetlife“, Teil 3

Fortsetzung von Teil 1 „Wie ist das noch mit „großen” Diabeteskids?“ und Teil 2 „Wenn ich noch einmal den Satz „Es gibt Schlimmeres“ höre, scheppert‘s!“

Hilft man uns oder helfen wir uns selbst? Diese Frage stellte sich in den ersten Wochen und Monaten noch nicht, da war man ja, wie bereits erwähnt, sehr eingebunden und die neuen Erfahrungen überrannten einen förmlich. Die emotionalen Vor- und Rückwärtsbewegungen häuften sich. Und man brauchte jetzt jemanden, der mitreden und -leiden konnte. Selbst die allerbesten und längsten Freunde hatten bei diversen Feiern oft ein Fragezeichen im Gesicht, weil sie nicht verstanden, dass ich zum hundertsten Mal zu Adrian sagte, er solle seinen Blutzucker (BZ) prüfen. Meine Sorge um ihn steigerte sich und ich brauchte unbedingt Verbündete, die mich wieder runter holen.

Elterninitiative Sweetlife geboren

So entwickelte ich meinen ersten Flyer der „Elterninitiative für Eltern von an Diabetes erkrankten Kindern“ und präsentierte ihn meiner Umgebung. Ich hatte mich natürlich kundig gemacht, wie sowas mit Selbsthilfegruppen läuft. Mir wurde gleich am Anfang mitgeteilt, dass es anlaufen müsse und ich nicht enttäuscht sein solle, wenn am Anfang nur ein, zwei Leute kommen. Na, was soll`s! Ich stellte am ersten Abend mal drei Stühle in mein gemütliches Lädchen und wartete auf das, was da kam. Keine halbe Stunde später musste ich mir Stühle beim Nachbarn leihen, denn plötzlich war der Laden voll - alles Mama´s, die ein Kind mit Diabetes zu Hause hatten.
Ich war unglaublich dankbar, denn vom ersten Moment fühlte man eine Verbundenheit. Wir stellten uns vor, redeten über Familie, Diagnose, Probleme usw. Und nach einer Stunde hatte man das Gefühl, wir kennen uns schon ewig, denn jeder entdeckte beim anderen Gefühle und Ängste, die er selber kannte und kennt und manchmal für nicht normal hielt. Nach dreieinhalb Stunden musste ich mit einem Blick auf die Uhr unser erstes Selbsthilfegruppentreffen beenden und war geflasht.

Im Laufe der Jahre entwickelte und veränderte sich die Gruppe. Es kamen und gingen Mütter, es blieben Mütter in der WhatsApp-Gruppe und immer da ist die Verbundenheit. Jeder trägt seinen Teil bei. Eine Mama ist selbst von Kindheit an Diabetikerin - sie ermahnt uns, lockerer zu werden. Eine Mama ist technisch so fit, dass wir alle profitieren. Eine andere Mama hat vier Kinder, ich frag mich jedes Mal: „Wie schafft sie das?“. Wir haben sogar Großeltern dabei, die auf dem Laufenden bleiben wollen.

Für Adrian ist die Gruppe auch eine Erleichterung, denn die Erfahrungen, die ich mit heim bringe, ließen mich etwas lockerer werden (Ich sehe ihn grad irgendwo grinsen!).

Adrian erkrankte, als nicht nur sein Körper, sondern auch alles andere im Umbruch war. Was macht man nach der Schule oder geht man weiter auf die Schule? Er und wir entschieden uns für Schule. Nach seinem Quali ging er auf die Mittelschule. Wir hatten Glück, die Schule hatte einen „ Montessori- Charakter“ - will sagen, er ging nicht unter mit seinem „Problem“. Er war der Einzige mit Diabetes in seiner Schule und erweckte damit eher Neugier. Wir hinterlegten Zubehör für seine Pumpe, Notinsulin usw. Alles klappte reibungslos.

Nicht jedem ging es so gut wie uns. In der Gruppe stellten wir immer wieder fest, dass es große Probleme in Kindergärten oder Schulen gibt. Mit diesen Themen werden wir zu oft „allein“ gelassen. Wie sollen Eltern, deren Kind in die Schule kommt, ohne Unterstützung die Überwachung gewährleisten? Wie sollen unsere Kinder im Kindergarten an Veranstaltungen teilnehmen, ohne dass jemand ein Auge darauf hat? Manchmal fragen wir Eltern uns wirklich, ob allen Verantwortlichen klar ist, was Diabetes bei Kindern bedeutet. Das den Lehrern und den Kindergärtnerinnen die Hände oft gebunden sind, ist uns Eltern längst klar. Diese armen Leute stehen zwischen besorgten Eltern und der unglaublichen Bürokratie in unserem Land. Wer leidet, sind unsere Kinder.

Adrian wollte im Juni sein Fach-Abi absolvieren. Als er am Tag des Mathe-Abis mit einem BZ von 360 mg/dl aufwachte, sollte er lt. Schule, eineinhalb Stunden zum Amtsarzt nach München fahren um die Chance auf eine Nachprüfung zu erhalten. Ich versuchte zu erklären, dass das genauso wäre, als würde ich einen Patienten mit Herzinfarkt anstupfen und sagen: “Fahr zum Notarzt“. Nochmal, ich ziehe hier nicht die Schule zur Verantwortung, die Auflagen die Schulen haben sind nicht zu beschreiben, hier müssen Politiker ran! Liebe Politiker tut was! Macht den Eltern von chronisch kranken Kindern das Leben und den Alltag nicht noch schwerer! Hört auf diese Eltern, lasst Euch beraten von diesen Eltern!

Adrian hat jetzt ein Bundesfreiwilligenjahr im Krankenhaus begonnen. Für ihn ist das jetzt genau das Richtige - dort kann er schon ab und zu mitreden, denn er ist ja schließlich „vom Fach“. (Michaela Micheli)